Leser*innenbrief an die Westfälischen Nachrichten (WN)

Leser*innenbrief zu dem Artikel „Stadt stellt an drei Stellen neue Container für Flüchtlinge auf“, vom 19.03.2014

Immer wieder sehen wir uns mit dem Kerntenor der so genannten Asyldebatte konfrontiert: „Das Boot ist voll!“
Diese Metaphorik zieht sich nicht einmal mehr unterschwellig durch die Mediendiskurse unserer Gesellschaft. Zitate aus Ihrem Artikel liefern dafür Paradebeispiele „Der Strom der Flüchtlinge reißt nicht ab (…)“. Es wird ein Bild von einfallenden Menschenmengen gezeichnet, gegen die es sich zu verteidigen gilt.
Grundsätzlich wird die steigende Migration wie eine unvorhergesehene Notsituation gehandhabt, als hätte die Stadt weder die Möglichkeit gehabt, sich darauf einzustellen, noch die Kapazitäten um angemessenen und menschenwürdigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Jedoch wurden schon 2001 (!) im Rahmen des „Münster-Konsens“ zwölf Standorte für Wohnungen für Geflüchtete beschlossen. Es bleibt zu bezweifeln, dass viel davon umgesetzt wurde im Angesicht der jetzigen Lösung – nämlich die Unterbringung der Menschen in Containern.
Münster, die lebenswerteste Stadt Deutschlands erweitert seinen Hafen um weitere moderne Bürogebäude, ein Prestigebauprojekt nach dem nächsten schießt aus dem Boden. So ist auch das Bahnhofsviertel von Umbau und Aufhübschungsmaßnahmen betroffen. Zwar werden soziale Bauprojekte mit demselben Enthusiasmus betrieben – so Sozialdezernent Paal: „Wir haben keine Luft, obwohl wir Plätze, Plätze, Plätze schaffen.“ – jedoch lässt die Fertigstellung im Vergleich eher auf sich warten.
Dieses Nichtreagieren kann einerseits als Nachlässigkeit gedeutet werden, gestattet aber auch die These, die Stadt verfolge das Ziel, Menschen das Gefühl zu geben, nicht erwünscht zu sein. Dies impliziert die Hoffnung darauf, dass möglichst viele Menschen sich nach einiger Zeit für eine freiwillige Rückkehr entscheiden.
Die stadtpolitischen Entscheidungen gehen so Hand in Hand mit dem Ton der Berichterstattung. Die pauschalisierende und diskriminierende Angstmache, wie auch die unreflektierte Übernahme von Meinungen von Politikerinnen und Politikern und Statistiken die nicht im Gesamtzusammenhang betrachtet werden, sorgen dafür, dass rassistische Denkmuster in der Gesellschaft aufkommen, beziehungsweise gestärkt werden. Solch eine Berichterstattung trägt unserer Meinung nach zu einer Stimmung bei, in der Anschläge und rassistische Hetze Fuß fassen können, von Essen bis Berlin, von Fichtelberg bis Güstrow.
Dies sind jedoch keine Probleme, die sich nur am rechten Rand der Gesellschaft finden, sondern auch in der bürgerlichen Mitte : Auf lokaler Ebene ist aktuell in diesem Kontext die Auseinandersetzung um die Münster Tafel zu sehen, in der rassistisches Verhalten offen zu Tage tritt. Nachdem letztes Jahr schon kein Essen an Roma verteilt wurde, soll nun die Versorgung von Geflüchteten eingestellt werden. Aber „Wir wollen niemanden diskriminieren“, so Vorstandsmitglied Roland Goetz („Tafel gehen die Vorräte aus“, vom 24.03.). Eine Skandalisierung dieser Aussagen in ihrer Berichterstattung wäre notwendig, blieb jedoch bis heute aus.
Es bleibt zu hoffen dass die Medien in Zukunft weniger auf Effekthascherei durch Sprachmetaphern über sogenannte Flüchtlingsfluten, und mehr auf kritisch reflektierte Inhalte setzen, wenn sie nicht den Eindruck erwecken wollen die gezielte Diffamierung Dritter, mit allen dazugehörenden Folgen, zu unterstützen.
Darüber hinaus fordern wir von der Stadt, sich an den Beschluss von 2001 zu halten, Gelder an Baustellen fließen zu lassen, wo es notwendig ist und somit eine Kultur des Willkommens und nicht der Bedrohung oder Problemlösung zu schaffen.

Gruppe grenzfrei, Münster